Franz Reisecker
Von der Kleinstadt zur Wiener Underground-Szene
Franz Reiseckers Werdegang zwischen oberösterreichischer Provinz, Wiener Underground, Punkrock und der Suche nach Identität bietet einen einzigartigen Einblick in die Geschichte von den 60er-Jahren bis heute.

1963 werde ich in eine oberösterreichische Kleinstadt hineingeboren.
Die ersten Jahre sind gut.
Die meiste Zeit verbringe ich bei den Großeltern.
- Oma: Nach dreizehn Kindern weiß sie, was ein Kind braucht – und was nicht.
- Opa: Er kann gut kochen und spielt Mundharmonika.
Dann beginnt die Schule…
…und es wird ungemütlich. Nicht wegen der Schule. Die Mutter ist mit ihren Buben überfordert. Nach mir kommen noch zwei. Der Vater ist kaum präsent, auch wenn er da ist. Genau wie ich – zuhause bin ich nur mehr, wenn es unbedingt sein muss: Essen, schlafen, im Zimmer liegen. Wir leben in einem kleinen Haus am Stadtrand. Jeder hat sein eigenes Zimmer. Die Mutter hat die Wohnküche, der Vater die Werkstatt. Die Großeltern wohnen im Erdgeschoß. Und rotzdem herrscht bei den Bewohnern schlechte Stimmung.
Zum Glück gibt es auf der einen Seite der Siedlung viel Natur, auf der anderen das Stadtleben: zwei Kinos, Freibad, Hallenbad. Ich bin kein guter Schüler und kein schlechter. Ich will das alles einfach nur so schnell wie möglich hinter mich bringen. Zum 14. Geburtstag bekomme ich eine Gitarre. In der Musikschule zeigt man mir, wie man das Instrument stimmt. Akkorde aneinanderzureihen ist ein tolles Erlebnis.
Eine verheißungsvolle Parallelwelt öffnet sich
Musik! Die Sprache, die ich spreche – in einer sprachlosen Umgebung. Geprügelt wird schnell. Überall. „Schau mi ned so deppert au!“ Manchmal wird doch geredet. Es ist nicht alles groovy in den 60ern und 70ern – jedenfalls nicht in der oberösterreichischen Provinz. Mit 15 beginne ich eine Uhrmacherlehre, mit 18 bin ich Geselle – und gleich mal arbeitslos.
Höchste Zeit, eine Band zu gründen!

Punkrock nennt sich der neue heiße Scheiß. Wild, laut, heftig. Die paar Akkorde reichen, um mitzustinken. Die Band ist miserabel. Es macht trotzdem Spaß.
Die Besetzung (von links nach rechts):
- Hans-Jürgen Maly / Punkname: Kantn
- Gerhard Rachbauer / Punkname: Pferd
- Gerald Stelzhammer / Punkname: Stözi
- Franz Reisecker / Punkname: Knochen
Jeder Punk der was auf sich hielt hatte damals einen Punknamen.
Der Bandname änderte sich bei jeder Probe. Wir hatten genau einen Auftritt. Pferds Cousin hatte uns eingeladen bei einem Geburtstagsfest zu spielen. In der Erinnerung haben wir drei Stücke gespielt, dann wollte Pferd nicht mehr. Vielleicht hatten wir aber auch einfach nicht mehr Nummern.
Die Digitalisierung und ein gewisses Desinteresse beenden meine Arbeit in der Uhrmacherwerkstatt.
Ende der 80er: Flucht nach Wien.
Hinein in den Underground. Die Keller der Nacht bieten hervorragende Versteckmöglichkeiten. In allen schlecht beleuchteten Gängen und Ecken tummeln sich Gleichgesinnte – aus allen Bundesländern, sogar aus dem Ausland. Sex & Drugs & Music. Geregelte Arbeit wird immer wieder von Arbeitslosigkeit unterbrochen. Die Tätigkeit als Behindertenbetreuer bringt Geld – und ein Burnout. Pause. Tabletten. Nachdenken.
Das Einzige, was bleibt, ist die Musik. Auch als Erwerbstätigkeit.
In ähnlicher Form nachzulesen im Roman Musik und andere Geräusche.